Für die meisten Menschen in westlich geprägten Gesellschaften ist ein neues Kleidungsstück seit vielen Jahren Kompensationsinstrument Nummer eins für vielerlei persönliche Leiden. Ob eine schlechte Note in der Schule oder der Universität, Stress mit Eltern oder Freunden, eine Trennung oder hoher Erfolgsdruck im Büro, häufig werden die eigenen negativen Gefühle und Emotionen durch eine physische Shoppingtour oder volle Onlinewarenkörbe kompensiert. Leider ist die Freude über neue Sneaker oder einen neuen Lieblingspullover nicht von Dauer und so müssen neue Reize (häufig in Form neuer Kleidungsstücke) für die nächsten positiven Gefühle sorgen. Einmal in diesem Hamsterrad gefangen, ist es schwierig sich daraus zu befreien. Dabei geht eine derartige persönliche Kompensationssystematik nicht nur zum Leidwesen Ihres persönlichen Geldbeutels, sondern auch der ökologischen Verfassung des Planeten und der sozialen Verfassung von tausenden Arbeitenden in Entwicklungs- und Schwellenländern, die unter prekären Bedingungen für einen unterdurchschnittlichen Lohn, sieben Tage in der Woche arbeiten – häufig bereits im Kindesalter (u.a. Niinimäki et al. 2020; Centre for Sustainable Fashion et al. 2022; Ellen MacArthur Foundation and Circular Fibres Initiative 2017; Amed et al. 2020; Niebank 2018). Ein Faktum, dass auf individueller Ebene leider allzu oft unterschätz und durch global agierende Modekonzerne, verdrängt, verharmlost und kleingeredet wird. Obwohl sich in den letzten Jahren einiges in Sachen ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit von Bekleidungsstücken getan hat, sind ein Großteil der derzeitig global praktizierten Produktions- und Distributionsprozesse weiterhin weit davon entfernt ökologisch und sozial nachhaltig zu sein (WWF 2022). Zumindest wenn man ökologische und soziale Nachhaltigkeit in der Bekleidungsindustrie nach Catrin Joergens (2006) wie folgt zusammenfasst und definiert: „fashionable clothes that incorporate fair trade principles with sweatshop- free labor conditions while not harming the environment or workers by using biodegradable and organic cotton.“ Die Sichtbarkeit der ökologischen und sozialen Probleme in der Kleidungsbranche stellt ein zentrales Problem bei der individuellen Sensibilisierung für genannte Themen da. Leider haben viele Menschen nicht die geringste Vorstellung davon, was Ihr Kleidungskonsum für ökologische und soziale Folgen generiert. Was unter anderem darin begründet liegt, dass Menschen in Deutschland mit einem Großteil dieser Folgen niemals direkt konfrontiert werden, da Sie nicht in dem für Sie sichtbaren Bereichen existieren. Die Verschmutzung von Flüssen und Seen durch die Verknappung giftiger Chemikalien und der Einsatz von Kinderarbeit finden nicht in einem Hamburger Vorort statt, sondern tausende Kilometer entfernt in den Produktionsgebieten der weltweiten Kleidungsindustrie in Indien, Bangladesch, Vietnam und China. Ohne aktives Engagement in Form von Recherche bekommt der Ottonormalverbrauchende hierzulande also erstmal nichts von den Folgeschäden seines Kleidungskaufes mit. Dabei gibt es durchaus Studien, welche die Folgen des Kleidungskonsums ziemlich genau skizzieren. Leider findet dieses Wissen allzu selten seinen Weg in populärwissenschaftliche Magazine und Zeitschriften, wodurch eine bessere Sensibilisierung für die ökologischen und sozialen Folgen westlichen Kleidungskonsums unter anderem an dem mangelhaften Transfer von Studienergebnissen in den breiten öffentlichen Diskurs hinein scheitern. Bezogen auf die rein ökologischen Folgen westlichen Kleidungskonsums veröffentlichte das deutsche Umweltbundesamt im Jahr (2021) eine Studie, die nicht nur konkrete Richtwerte für die globale Bekleidungsindustrie benannte, sondern auch, zwecks besserer Verständlichkeit, in globale Relation setzte. Während der Anteil der globalen Bekleidungsindustrie lediglich rd. 0,6% am weltweiten Einkaufsvolumen einnimmt, ist der Industriezweig trotzdem für mehr als rd. 1% der weltweiten Treibhausgasemissionen, für rd. 5% der weltweit verbrauchten Chemikalien, für rd. 1,1% der weltweiten Wasserentnahmen aus Gewässern und Grundwasser, für rd. 4% der gesamten jährlich ausgebrachten Düngermenge, für rd. 6% der weltweit verbrauchten Pestizide und für rd. 16% der weltweit verbrauchten Insektizide verantwortlich. Auch speziell auf Deutschland bezogen führte die Studie modellierte Richtwerte an, welche die ökologischen Folgen des Kleidungskonsums verdeutlichten. Im Jahr 2015 verursachte der deutsche Bekleidungskonsum durchschnittlich 135 Kilogramm Treibhausgase pro Kopf, was etwa der Emissionsmenge einer PKW-Fahrt von Flensburg an den Bodensee entspräche. Darüber hinaus verbraucht der deutsche Bekleidungskonsum jährlich ca. 17.200 Liter Wasser pro Kopf. Ein Teil dieses Wassers wird aus Grundwasser und Gewässern abgepumpt und somit der lokalen Bevölkerung als Trinkwasser und zum dortigen Lebensmittelanbau entzogen, was besonders in Gebieten mit saisonaler Wasserknappheit wie beispielsweise in Indien, ein großes Problem für die hiesige Bevölkerung darstellt. Trotz einer wachsenden Sensibilisierung westlicher Konsumierenden aufgrund von Aufklärungskampagnen zahlreicher NGO´s und/oder Eigeninitiative bleibt letztendlich die Frage, was kann jeder selbst tun, um die negativen ökologischen und sozialen Folgen von westlichem Bekleidungskonsum zu minimieren. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass deutsche Verbraucher im Schnitt 60 neue Kleidungsstücke pro Jahr kaufen und sich gleichzeitig die Tragedauer von Kleidungsstücken in den letzten 15 Jahren halbiert hat (Perschau et al. 2017), ist die Antwort denkbar einfach – Kleidungsstücke länger tragen und wenn es doch ein neues Kleidungstück sein muss, eher auf Seconhand setzten. Bis zur gänzlich nachhaltigen Produktion und Distribution von Bekleidung ist es noch ein weiter Weg. Trotzdem haben Sie, die Konsumierenden, es in der eigenen Hand und können vor jedem neuen Einkauf entscheiden, ob es wirklich neue Kleidungsstücke sein müssen oder ob nicht auch Seconhand-Kleidungsstücke in vielen Fällen eine Alternative bieten. So würden nicht nur die Treibhausgasemissionen von Produktion und Distribution reduziert, sondern auch der Wasserverbrauch in Ländern mit ohnehin wenig Grundwasser gesenkt werden. Zusammenfassend würden mehr Seconhand-Kleidungsstücke nicht nur Ihrem Geldbeutel guttun, sondern durch weniger Nachfrage nach neuer Kleidung auch die negativen ökologischen und sozialen Folgen von neu produzierten Kleidungstücken mindern, denken Sie drüber nach! Lucas Philipp Krassau Literaturverzeichnis: Amed, Imran, Achim Berg, Anita Balchandani, Saskia Hedrich, Felix Rölkens, Robb Young, and Sharina Poojara. 2020. ‘The State of Fashion 2020’. London: Mc Kinsey & Company. https://www.mckinsey.com/~/media/mckinsey/industries/retail/our%20insights/the%20state%20of%20fashion%202020%20navigating%20uncertainty/the-state-of-fashion-2020-final.pdf. Centre for Sustainable Fashion, Julie´s Bicycle, British Fashion Council, DHL, and London College of Fashion. 2022. ‘Fashion & Environment: An Overview of Fashion´s Environmental Impact & Opportunities for Action.’ White Paper. London. https://www.britishfashioncouncil.co.uk/uploads/files/1/NEW%20Fashion%20and%20Environment%20White%20Paper.pdf. Ellen MacArthur Foundation and Circular Fibres Initiative. 2017. ‘A New Textiles Economy – Redesigning Fashion´s Future’. England: Ellen MacArthur Foundation. https://emf.thirdlight.com/file/24/uiwtaHvud8YIG_uiSTauTlJH74/A%20New%20Textiles%20Economy%3A%20Redesigning%20fashion%E2%80%99s%20future.pdf. Joergens, Catrin. 2006. ‘Ethical Fashion: Myth or Future Trend?’ Edited by Liz Barnes. Journal of Fashion Marketing and Management: An International Journal 10 (3): 360–71. https://doi.org/10.1108/13612020610679321. Jungmichel, Norbert, Kordula Wick, and Dr. Moritz Nill. 2021. ‘Kleider mit Haken’. Hamburg: Umwelt Bundesamt. https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/479/publikationen/uba_kleider_mit_haken_bf.pdf. Niebank, Jan-Christian. 2018. ‘Analysis: Bringing Human Rights into Fashion: Issues, Challenges and Underused Potentials in the Transnational