In Deutschland muss man nicht auf der Straße leben, heißt es. Unser starkes Sozialsystem fängt uns in Zeiten der Not auf. Trotzdem hatten 2022 über 263.000 Menschen keinen festen Wohnsitz, davon lebten 40.000 Menschen auf der Straße. Hamburg hält im bundesweiten Vergleich den traurigen Rekord mit 19.000 wohnungslosen Menschen.
In der Großstadt sind Menschen, die in der Bahn um eine Spende bitten, die vor Bahnstationen sitzen, auf der Reeperbahn oder in der Sternschanze Becher mit Aufschriften wie “Für Essen”, “Für Gras”, “Für Drogen”, vor sich aufgereiht haben, uns allen bekannt. Vielleicht geben wir ihnen Geld oder etwas zu Essen, doch meistens ignorieren wir sie. Sie gehören eben zum Stadtbild dazu.
Aber wie gestaltet sich eigentlich das Leben auf der Straße? Wie funktioniert dieses Sozialsystem, das Menschen auffangen soll und welche Herausforderungen bringt es mit sich? Im Rahmen meiner Aktivitätsspende im CaFée mit Herz auf St. Pauli bekam ich erste echte Antworten auf diese Fragen.
Im “sozialen Hafen von St. Pauli” können wohnungslose Menschen auf eine Reihe von unterstützenden Maßnahmen zurückgreifen, die im Großteil ehrenamtlich organisiert und hauptsächlich von Spenden finanziert werden. Dazu gehören zwei Mahlzeiten am Tag – Frühstück und ein warmes Essen – Duschen, eine Kleiderkammer sowie die Möglichkeit, zusammen mit Sozialarbeitern die eigene Lebenssituation zu verbessern. Das CaFée mit Herz arbeitet außerdem mit Ärzten und Zahnärzten beispielsweise für Wundversorgungen zusammen und organisiert weiterhin ein Wohnprojekt, in dem eine kleine Gruppe wohnungsloser Menschen vorübergehend einen festen Wohnsitz bekommen kann, um von dort aus wieder auf die Beine zu kommen.
Viele Menschen kommen jeden Tag, einige schon seit Jahren. Viele sind dankbar für das, was das CaFée mit Herz für sie bereitstellt, einige machen allerdings auch den befremdlichen Eindruck, als würden sie die Situation ausnutzen wollen. Es steht mir nicht zu, dies einschätzen oder gar bewerten zu können, schließlich weiß ich zu wenig über die Einzelschicksale dieser Menschen. Trotzdem ist es teilweise schwierig, damit umzugehen. In der Kleiderkammer, in der ich Menschen mit Kleidung, Schuhen und Schlafsäcken versorgt habe, werden Spenden gesammelt und sortiert. Diese gebe ich dann nach Bedarf an bedürftige Menschen heraus, je nach Größe und Geschmack. Hier sind einige Produkte, zum Beispiel Sneaker, besonders beliebt. Da Menschen ohne festen Wohnsitz einen großen Teil des Tages auf den Beinen sind, kann ich das gut verstehen. Eine Spende mit Turnschuhen ist daher immer ein willkommenes Geschenk. Viele Menschen brauchen diese Turnschuhe, allerdings bemerke ich auch, dass einige jede Woche in die Kleiderkammer kommen und jedes Mal neue Schuhe verlangen. Der nächste Mensch hat vielleicht wirklich keine passenden oder heilen Schuhe und dem kann ich dann keine Sneaker mehr anbieten, daher muss ich bei jedem Kunden schauen, ob ich sie wirklich herausgebe.
In meiner begrenzten Zeit im CaFée mit Herz habe ich gelernt, dass viele der Klischees, die wohnungslosen Menschen entgegenkommen, nicht stimmen. Gleichzeitig habe ich erkannt, dass es eine Gruppe Wohnungsloser diese Klischees traurigerweise erfüllt. Somit bleiben für mich einige (neuen) Fragen offen.
Quelle: Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (2022). “Wohnungslosenbericht 2022”. https://www.bmwsb.bund.de/SharedDocs/downloads/Webs/BMWSB/DE/veroeffentlichungen/pm-kurzmeldung/wohnungslosenbericht-2022.html.
Xenia Godt