Im Rahmen unseres Studiengangs “Digital Transformation and Sustainability” haben Studierende die Möglichkeit im zweiten Semester eine thematisch ausgerichtete Studienreise zu belegen. Dabei gibt es in der Regel verschiedene Wahlmöglichkeiten, wie etwa eine Studienreise nach Brüssel, in die USA oder nach Dänemark. Durch die Corona-Pandemie war eine solche Studienreise dieses Jahr nicht möglich. Als Ersatzprogramm entstand deshalb ein fünftägiger Studytrip in Hamburg, dessen einzelne Tage jeweils von einem Team aus Studierenden organisiert wurden und welcher den verschiedenen Facetten der Nachhaltigkeit gewidmet war.
Geht es um Nachhaltigkeit, so wird stets von der Triple Bottom Line aus ökologischer, ökonomischer und sozialer Nachhaltigkeit gesprochen. Es gibt jedoch noch eine weitere Säule der Nachhaltigkeit, die sich nicht unbedingt in eine der drei soeben genannten einordnen lässt, die allerdings nicht minder wichtig ist: Die persönliche Nachhaltigkeit.
Kennzeichnend für das Leben vieler junger Menschen heutzutage ist nicht nur eine wachsende Sorge um das Fortbestehen unserer Umwelt, so wie wir sie kennen, sondern auch ein rasanter, von tausenden Einflüssen und ständigem Multitasking geprägter Lebensstil. Während sich To-Do Listen ins Unermessliche stapeln und sich die Termine häufen, kann es schnell passieren, dass irgendwann ein Gefühl der vollkommenen Überwältigung einsetzt. Um das lange und zähe Ringen um eine nachhaltigere Zukunft durchhalten zu können, ist eine stabile mentale Grundlage jedoch elementar.
Für die Gestaltung unseres Thementages stellten wir uns daher folgende Frage: Wie können wir das Außen im Sinne der SDGs verändern, wenn wir im Inneren Kämpfe austragen, die erschöpfen? Bei der Suche nach Antworten erschienen uns die im Folgenden dargestellten Punkte aufschlussreich.
Ein Schlüssel, um mit dem Gefühl der Überwältigung umgehen zu können, kann darin liegen Gedanken aufzudecken, Funktionsweisen des Gehirns zu verstehen und Gedankenmuster zu hinterfragen. Dazu werden im Folgenden die Verlustaversion als Bestandteil der Prospect Theory und das Konzept des Priming, sowie die Bedeutung von Habits und die Themen Aufmerksamkeit und Entspannung vorgestellt.
Im Alltag stehen wir vor verschiedensten Entscheidungen und müssen für uns persönlich abwägen, was für uns das Richtige ist. Vor allem in Momenten der Unsicherheit, kann dies herausfordernd erscheinen. Die Prospect Theorie nach D. Kahnemann und A. Tversky, gibt Aufschlüsse darauf, wie risikobehaftete Entscheidungen getroffen werden. Die Verlustaversion ist Bestandteil der Prospect Theory und besagt, dass die Entscheidungsfindung meist irrational geschieht, wobei nicht der absolute Nutzen entscheidend ist, sondern vielmehr ein Referenzwert und die Veränderung dazu. Anschaulich wird dies an dem Beispiel eines Wettbewerbs. Der Drittplatzierte freut sich mehr als der Zweitplatzierte, da der Zweitplatzierte seinen Sieg als Verlust empfindet – schließlich ist er nur allzu knapp an dem ersten Platz vorbeigeschrammt. Der Drittplatzierte hingegen war so nah dran, gar nicht erst auf das Siegertreppchen zu kommen. Da er die Nichtplatzierung als Referenzwert annimmt, kann er sich eher an seinem Sieg erfreuen als der Zweitplatzierte, der sich am ersten Platz bemisst. Das bedeutet, es kommt auf die Differenz zum Referenzwert an. Prinzipiell werden jedoch Verluste stärker gewichtet als Gewinne.
Darüber hinaus ist die Tatsache nicht zu verkennen, dass wir permanent Reizen ausgesetzt sind, die wir bewusst, aber auch unbewusst wahrnehmen können. Ausgelöst von diesen Eingangsreizen, können Assoziationen und Reaktionen im Gehirn folgen. Dieses Vorbereiten eines Reiz- Reaktion– Schemas wird Priming genannt. Priming wird an einigen Stellen (z.B. Marketinggebrauch) als kontrovers betrachtet, kann jedoch durchaus nützlich sein, wenn man sich den Eingangsreizen bewusst macht und kritisch hinterfragt. Zusätzlich kann man sich das Prinzip des Primings etwa durch positive Impulse im Alltag zu eigen machen, indem man beispielsweise durch das Platzieren eines Bildes auf dem Schreibtisch oder die Positionierung einer Pflanze im Raum gezielt positive Reize setzt.
Habits bzw. Gewohnheiten spielen eine zentrale Rolle in unserem Leben. Einerseits prägen sie, über Jahre oder gar Jahrzehnte hindurch ausgeübt, unsere Persönlichkeit und haben einen immensen Einfluss auf unsere Gesundheit, unseren beruflichen Erfolg oder unsere Zufriedenheit (bspw. das regelmäßige Ausüben von Sport). Andererseits ermöglichen Gewohnheiten uns auch, unseren Kopf für die wirklich wichtigen Entscheidungen freizubekommen. Würde uns die Entscheidung, ob wir uns nun die Zähne putzen sollen oder nicht, jeden Morgen Kopfzerbrechen bereiten, so würde in Summe betrachtet bereits der ganz normale Alltag irgendwann eine immense Überforderung darstellen. Viel leichter wird es dadurch, dass wir uns über eine Vielzahl unserer Handlungen gar nicht mehr aktiv zu sorgen brauchen und dadurch Kapazitäten im Gehirn freiwerden, die es uns erlauben, uns mit wirklich kritischen und neuen Inhalten zu befassen (beispielsweise der Frage, wie wir unsere Welt nachhaltiger gestalten können).
James Clear beschreibt in seinem Buch „Atomic Habits“ vier Schritte, die bei jeder Gewohnheit durchlaufen werden. Das Wissen um dieses Muster hilft dabei, neue Gewohnheiten erfolgreich aufzubauen oder unerwünschte Gewohnheiten abzulegen. Gewohnheiten können dabei nicht per se in gute und schlechte Gewohnheiten eingeteilt werden; vielmehr kommt es immer darauf an, ob die jeweiligen Gewohnheiten dem Betreffenden dabei helfen, seine ganz individuellen Ziele zu erreichen, oder nicht:
Cue
Jedes Verhalten wird durch einen Trigger oder Cue ausgelöst. Für wünschenswertes Verhalten sollte dieser Trigger so offensichtlich wie möglich gemacht werden, für unerwünschtes Verhalten das Gegenteil. Möchte man sich beispielsweise abgewöhnen, als erste Amtshandlung des Tages auf sein Smartphone zu schauen, so sollte man das Gerät gar nicht erst am Abend zuvor mit ins Schlafzimmer nehmen und auch anstatt des Handy-Weckers einen analogen Wecker anschaffen.
Craving
Der Trigger aus Schritt 1 löst ein Verlangen (engl. Craving) aus und motiviert eine entsprechende Antwort in Form eines bestimmten Verhaltens (Schritt 3). Was wir verlangen ist nicht das Verhalten an sich, sondern das Gefühl, dass wir durch dieses Verhalten erfahren. So schalten wir beispielsweise nicht den Fernseher an, weil es uns Spaß macht auf einen Knopf zu drücken, sondern weil wir unterhalten werden wollen.
Response
Der dritte Schritt, die Response, ist das eigentliche Verhalten an sich. Im Beispiel zuvor wäre es also das Anschalten des Fernsehers. Je schwerer es ist, dieses Verhalten auszuführen, desto unwahrscheinlicher wird es, dass wir dies tun. Auch dies kann man sich wieder zunutze machen. Will man die Zeit, die man vor dem Fernseher verbringt, reduzieren, so kann man beispielsweise die Fernbedienung an einen schwer erreichbaren Ort legen. Somit muss das Verlangen nach medialer Unterhaltung erst viel größer werden als zuvor, damit man bereit ist, diesen Extra-Aufwand auf sich zu nehmen.
Das Belohnungsgefühl ist das Endziel des gesamten Prozesses. Alle drei vorhergehenden Schritte sind auf dieses Gefühl ausgerichtet. Je öfter wir ein Verhalten ausführen, desto deutlicher speichert unser Gehirn, ob dieses Verhalten uns das ersehnte Gefühl verschafft oder nicht. Diese neurologische Feedback-Schleife erlaubt es uns somit, langfristige Gewohnheiten aufzubauen.
Viele von uns haben ein Ventil für den Stress, der sich unter der andauernden Belastung angestaut hat. Sozialisation, Sport oder wohltuende Rituale wie ein Bad zu nehmen oder in die Sauna zu gehen sind hier häufig genutzte Methoden der aktiven Entspannung. Es gibt aber auch Methoden, die keinerlei Hilfsmittel benötigen oder Geld kosten. Eine dieser Methoden nennt sich autogenes Training. Das autogene Training ist eine Entspannungstechnik, welche es den Anwendenden ermöglicht die angesammelte Anspannung aktiv und autark abzubauen. Das auf Autosuggestion basierende Entspannungsverfahren wurde von dem Psychiater Johannes Heinrich Schultz aus der Hypnose entwickelt und in seinem 1932 erschienen Buch Das autogene Trainingpubliziert. Die Essenz dieser Technik ist der sich wiederholende Prozess der aktiven Anspannung eines bestimmten Bereiches des Körpers. Nach einigen Sekunden der selbstinduzierten Anspannung folgt eine passive Entspannungsphase, in der die Aufmerksamkeit des Anwenders auf den empfundenen Unterschied zwischen den beiden Körpergefühlen liegt. Das Ziel ist eine Sensibilisierung des Anwendenden. Die Person soll bewusst wahrnehmen können, dass sie aufgrund von Stress bestimmte Muskelgruppen wie etwa den Kiefer, den Nacken, die Zehen oder die Faust anspannt und dies sofort auflösen können, bevor die Anspannung Schmerzen auslöst. Wird das autogene Training regelmäßig trainiert kann die Anspannung und Entspannung körperlich präzisiert werden, sodass nicht mehr nur ganze Muskelgruppen, sondern auch einzelne Muskeln gezielt bearbeitet werden können. Dies kann indes soweit geübt werden, dass auch die Oberflächentemperatur einzelner Körperteile aktiv verändert werden kann. So können geübte Nutzer des autogenen Trainings im wahrsten Sinne des Wortes einen kühlen Kopf bewahren.
Die wirtschaftliche Episode, in der wir uns momentan befinden, zeichnet sich durch eine schier unendliche Flut von leicht zugänglichen Informationen aus. Durch unsere Smartphones, Laptops und Tablets sind wir fast alle ununterbrochen mit diesem Informationsfluss verbunden. Einerseits erzeugt dies einen Druck, ständig erreichbar sein zu müssen, sowohl für die einschlägigen WhatsApp-Nachrichten von Freunden als auch für berufliche Anfragen. Andererseits erzeugt die stetige Nachrichtenflut über neue Naturkatastrophen und Abgründe des menschlichen Verhaltens ein Gefühl der Macht- und Hilflosigkeit. Dies sind nur einige Aspekte, die das heutige Leben prägen und die bei vielen Menschen ein konstantes Gefühl der Überforderung hervorrufen. Mit der „Toolbox“, die wir während unseres Thementages zur persönlichen Nachhaltigkeit vorgestellt haben, wollten wir unseren Mitstudierenden Werkzeuge an die Hand geben, die dabei helfen können, mit diesen Gefühlen umzugehen und Dinge wieder in die richtige Perspektive zu rücken. Wie es so schön heißt, muss man erst „vor seiner eigenen Haustür fegen“, bevor man die größeren Probleme angehen kann. In diesem Kontext ist damit gemeint: Wollen wir uns erfolgreich für eine nachhaltigere Zukunft der Menschheit einsetzen, dann sollten wir zuerst unseren eigenen Alltag so kreieren, dass uns seine Herausforderungen allein nicht bereits lähmen und handlungsunfähig machen, sondern Strukturen schaffen, die uns Raum geben, um die wirklich schwerwiegenden Probleme angehen zu können.
Annabelle Dirks, Saskia Harger & Adrian Imeri, Digistainable 2019
Quellen
Clear, James. 2018. Atomic habits: tiny changes, remarkable results: an easy & proven way
to build good habits & break bad ones. New York: Avery, an imprint of Penguin Random House.
Kahneman, Daniel. 2011. Thinking, Fast and Slow. London: Lane.
Kahneman, Daniel, and Amos Tversky. “Prospect Theory. An Analysis of Decision Making Under Risk”
(April 1, 1977). doi:10.21236/ada045771.
Schultz, I. Heinrich, und Siegfried Stephan. 2010. Autogenes Training: das OriginalÜbungsheft ; die
Anleitung vom Begründer der Selbstentspannung. 25. Aufl. Stuttgart: TRIAS Verl.
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